Die Mundart ist das geistige Erbe unserer Eltern und Großeltern. Sie wird von Generation zu Generation weiter getragen. Schon das Kleinkind erlernt in kurzer Zeit die Sprache, mit der seine Mutter mit ihm kommuniziert. Das ist in der Regel die Mundart, eben die Muttersprache, wie sie so schön bezeichnet wird. Sie ist uns in die Wiege gelegt, sie ist die Quelle unserer Sprache, sie gehört zu unseren Wurzeln.
Die Mundart ist auch die Sprache, die aus dem Herzen kommt. Sie hat einen Wohlklang, eine Melodie, und drückt Emotionen viel stärker aus als die Hochsprache. Die Mundart spiegelt die Seele wider, sie hat viel Aussagekraft und Lebendigkeit. Man kann mit ihr das Persönliche echter und typischer zum Ausdruck bringen. Schon Goethe sagte: Der Dialekt ist das Element, das aus der Seele spricht. Die Mundart ist in unserer Heimat gewachsen, wir sind mit ihr verwurzelt und sie ist ein Teil von unserer Identität. Sie vermittelt uns ein Gefühl der Zugehörigkeit. Wir sollen die Mundart pflegen und auf keinen Fall verleugnen.
Es ist erfreulich, dass bei uns in Tirol die Mundart in den Familien noch häufig gesprochen wird. Ich habe das erfahren bei meinen Schullesungen, zu denen ich landauf, landab eingeladen werde. Wenn ich den Schülern meine Gedichte in Mundart und in Hochsprache gegenüberstelle, so sagen fast alle, dass ihnen die Mundartgedichte viel besser gefallen, als die in Schriftsprache. Dass sie sie viel herzlicher und persönlicher empfinden. Ein Mädchen sagte: „Die Mundartgedichte kommen von Herzen und gehen zu Herzen, sie klingen wärmer, weicher und echter, weil man seine Gedanken, Empfindungen und Gefühle im Dialekt einfach besser ausdrücken kann.“
Die meisten Kinder sagen, dass sie daheim in der Familie den Dialekt sprechen. Ein Großteil der Tiroler Bevölkerung kommuniziert in der Mundart. In der städtischen Bevölkerung ist das schon wesentlich anders. Hier wird die Mundart seltener gesprochen.
Vieles beeinflusst unsere Sprache, sie verändert sich. Die Globalisierung, die Freizeitwelt, der Medienkonsum und auch die Arbeitswelt haben Einfluss auf die Veränderung unserer Sprache.
Es gibt Wörter, die ich noch von meinen Eltern und Großeltern gehört habe, die ich aber nie mehr verwende. Meine Kinder und Enkelkinder verstehen diese Wörter überhaupt nicht mehr. Ein gutes Beispiel sind die Wochentage. Früher hieß bei uns im Tiroler Unterland der Montag „Muda“, der Dienstag „ Äschta“, der Mittwoch „Mickn“, der Donnerstag „ Pfinsta“, der Freitag „Freida“, der Samstag „Sonsta“ und der Sonntag „Sunda“. Die Veränderung ist hier wohl sehr deutlich herauszuhören.
Aber es heißt ja, die Veränderung ist das Einzige, das Bestand hat.
Interessant ist auch die Beobachtung, wenn Jugendliche nach Innsbruck zum Studieren kommen. Da nehmen sie sofort die Umgangssprache an, die sie mit ihren Freunden praktizieren. Kommen sie aber heim, sprechen sie in ihrer Familie wieder den ureigenen Dialekt. So war es auch bei unserem Sohn. Jetzt lebt er mit seiner Familie in England, und wenn er heim kommt, redet er mit uns, als wäre er nie fort gewesen. Auch mit seinem vierjährigen Sohn spricht er Tiroler Mundart, Hochsprache und Englisch. Es ist erstaunlich, wie schnell Kleinkinder Sprachen erlernen.
Die Mundart eines Ortes, eines Tales, sagt viel über ihre Bewohner aus, sie ist Herkunft und Heimat. Es gibt in Tirol eine Unmenge verschiedener Dialekte, die Vielfalt ist enorm. Das Oberland, das Außerfern, das Unterland, Osttirol und die vielen Seitentäler haben alle ihren eigenen Dialekt entwickelt. Mir gefällt jede Mundart und ich freue mich immer, wenn ich am Dialekt gleich erkennen kann, wo jemand herkommt.
Mundart ist Identität und Heimat, sie stirbt sicher nicht aus, aber sie wird sich im Laufe der Zeit immer und immer wieder verändern.
Kathi Kitzbichler