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Etwa ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es zu einer regelrechten
„Blüte“ der Mundartdichtung, gleichzeitig auch zur Abkehr von bisherigen
traditionellen Gepflogenheiten und zur Ausbildung neuer Strömungen,
beispielsweise einer unkritischen, einer sozialkritischen und einer nach der
Position des Ich fragenden Mundartdichtung.xlvii Die jeweiligen Autorinnen und
Autoren waren und sind von recht unterschiedlichen Motiven geleitet in Mundart
zu schreiben und vertreten unterschiedliche Positionen.
Geht es den einen primär darum, die gesprochene Sprache möglichst lauttreu
und realistisch abzubilden und auch zu bewahren, so möchten andere aufrütteln
und verfremden; die einen möchten unterhalten und belehren, den anderen ist
das Aufzeigen von Unzulänglichkeiten, Protest und Kritik ein Anliegen; die einen
bevorzugen Versmaß und Reime, die anderen dagegen freie Formen, einige
sind diesbezüglich nicht festgelegt. Manche schreiben sowohl im Dialekt als
auch in Hochsprache. Die Themen sind vielfältig und nicht auf Heimatdichtung
beschränkt, die Inhaltlichkeit ist unerschöpflich und betrifft alle Lebensbereiche.
Weitaus am häufigsten wird Mundartlyrik geschrieben, in Stücken und
dramatischen Werken findet eine zumindest dialektgefärbte Sprache
Anwendung, Erzählungen und Prosa sind am seltensten in Mundart verfasst.
In der Nachfolge der sog. Wiener Gruppe um H. C. Artmann wird Dialekt
bewusst als Sprache des Andersseins und der Verfremdung gewählt und steht
weniger im Dienst der Funktion die Ortsmundarten zu spiegeln bzw. den „Mund“
des Volkes abzubilden.xlviii
In diese Zeit fiel auch die Gründung des Tiroler Mundartkreises beim Verein für
Heimatschutz und Heimatpflege in Nord- und Osttirol 1968 als Vereinigung von
Mundartfreunden und Mundartschaffenden durch den damaligen Referenten für
Volkskunde und Volkskultur im ORF-Landesstudio Tirol, Dr. Friedrich Haider,
und die erste Obfrau Helga Leiseder-Moser aus Innsbruck, verbunden mit
zahlreichen Aktivitäten, Initiativen und Maßnahmen zur Förderung der Mundart
und Mundartdichtung, etwa durch themenbezogene Nummern der Tiroler
Heimatblätter, die Herausgabe von mundartlichen Anthologien zu
Schwerpunktthemen und von Sammelbänden sowie durch die Förderung von
Publikationen. Der Mundartkreis veröffentlichte immer wieder thematische
Sammelbände.xlix So brachten z. B. die Mundartfreunde Österreichs in ihren
Mitteilungen eine Reihe zur Mundartdichtung in den einzelnen österreichischen
Bundesländern und somit auch über die Mundartdichtung in Tirol 1985 heraus,
erschienen u. a. 1986 das von Prof. Dr. Hubert Brenn im Auftrag des
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