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Geschichten Joseph (Sepp) Rossa
Einfahren
Es ist halb fünf Uhr in der Früh. Ein wolkenverhangener Mittwoch im Juni
lichtet sich vom Osten her ins morgendliche Grau. Die Unruhe im
hellerleuchteten Told-Stall nimmt zu. Schellengebimmel und helles Glockengeläut
dringt durch die offene Stalltür. Dann das dumpfe, blecherne Geschepper als der
Bauer der Bless den alten Kumpf umhängt. Herbert, der Melcher, schreit ein
warnendes: "paßt´s au!" zu den 2 Buben, die noch halb verschlafen zwischen den
unruhigen, schon abgehängten Kühen lehnen.
Und als wollten sie zum letzten Mal ihre Herberge des vergangenen Winters
begutachten stolpern die Rinder durch den Stall. "Seid´s soweit?" fragt die
Bäuerin vor dem Stall und hält 3 Rucksäcke mit der Jausn bereit. "Ja, glei"
meint der Herbert, geht zur Stalltür und macht sie auf. Zögernd schreitet die
"Liesl" ins Freie. Langsam kommt eine nach der anderen nach. Nur die Bibiane
und die Franzi wollen nebeneinander durch die Tür. Aber die zwei haben ja
immer solchen Handel. Unsicher stehen die Tiere vor dem Stall. Die Bäuerin und
der Nachbar passen auf, daß keines ins Feld springt.
Weil sich einer der Buben einen an der Stallmauer gelehnten Stecken genommen
hat, schreit der Melcher den Hannes an:"Halt Büabl des isch meiner" und nimmt
dem Verdutzten den Stecken aus der Hand.
Dann geht der Herbert gemächlichen Schrittes auf die Straße und mit einem
fast zärtlichen: "Geah Kusala, geah..." macht er sich auf den Weg. Langsam folgen
ihm die älteren Kühe, die schon wissen um was es heute geht. Mit einem lauten
"geah" rennen die Buben um die trägen noch herumstehenden Jungrinder herum
und hauen mit ihren Stecken auf die sich bietenden Flanken der Tiere. "Nit
haun" warnt der Bauer und schubst eine unwillige Kuh in die Gehrichtung.
Übermütig springt eine Kalbin in Richtung Tennen aber die Bäuerin scheucht sie
der sich in Bewegung gesetzten Herde nach. "Geah..geah..." tönt es durch den
grau werdenden Morgen und Mensch und Tier beginnt den viele Stunden
dauernden Marsch auf die Alm.
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