Page 13 - Mundart_Schreibung
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4 Kennzeichen der Tiroler Mundarten

Die deutschen Dialekte werden bekanntlich in drei Großräume eingeteilt,26 und zwar in das
     Niederdeutsche (die 2. Lautverschiebung [betreffend Konsonanten im An- und Verschlusslaut]
         und Diphthongierung [betreffend die Umwandlung von langen Vokalen in Zwielaute] sind
         nicht erfolgt als Hauptmerkmale), das
     Mitteldeutsche (die 2. Lautverschiebung erfolgte teilweise, die Diphthongierung vollständig
         als Hauptmerkmale), und das
     Oberdeutsche (die 2. Lautverschiebung erfolgte vollständig, die Diphthongierung nur teilweise
         als Hauptmerkmale).

Die Tiroler Mundarten gehören somit dem oberdeutschen Dialektraum an:
(1) mit vollständiger Durchführung der 2. Lautverschiebung, manchmal sogar über den bairischen
Dialekt- und neuhochdeutschen Sprachstand hinausgehend (der stimmhafte Verschlusslaut b/d/g
erscheint im Anlaut immer als stimmloser Verschlusslaut: p, t, k  f, s, ch: dorp-Dorf, dat-das, ik-ich;
 pf, z, kx: appel-Apfel, holt-Holz), und teilweise erfolgter Diphthongierung;
(2) der stimmlose Verschlusslaut k wird häufig zur Affrikata kx (Kxnedl-Knödel, Sockxen-Socken, Sockx-
Sack) und der stimmhafte Verschlusslaut g wird oft stimmlos und erscheint als als k (Greis-Kreis,
Grippe-Krippe).

Von der zweiten großräumigen oberdeutschen Mundart, dem Alemannischen, unterscheidet sich das
Bairisch-Österreichische und somit auch die Tirolischen bzw. Tiroler Mundarten durch die Vornahme
der neuhochdeutschen Diphthongierung: die Langvokale î û ü werden zu ei au eu oder
entsprechenden (dialektalen) Lautkombinationen diphthongiert (min-mein, hus-Haus, hiut-heute-
hei(n)t).

     „Ein Merkmal des Frühneuhochdeutschen und ein Unterschied zum Mittelhochdeutschen ist
         zum Beispiel die Diphthongierung verschiedener Laute, die im süddeutschen Sprachraum
         schon 200 Jahre vor Oswald [von Wolkenstein, Einschub HB] ihren Ausgang nimmt“, erklärt
         Max Siller. Aus langem „î“ wird „ei“, das lange „û“ wird zum „au“: „Min Hus“ wird zu „mein
         Haus“. Diese Lautverschiebung, neben anderen Änderungen, breitet sich vom heutigen
         Bayern und Österreich nach Norden aus – nur im Alemannischen und in Norddeutschland gibt
         es diese Änderung nicht. „In Vorarlberg und in der Schweiz hat es diese Diphthongierung nicht
         gegeben, was wir ja auch heute noch sehen.“<27

Neben diesen bzw. solchen Unterschieden im Diphthongsystem sowie solchen im Wortschatz
unterscheiden sich die Tiroler Mundarten von den übrigen bairisch-österreichischen Dialekten durch
die fast durchgehende Aussprache von st, sp und sk als scht, schp und schk, auch im Inlaut, weiters
durch geringere Nasalierung als etwa z. B. im Mittelbairischen und durch eine verstärkte velare
Aussprache der Gaumenlaute (g, k, l).

Dies alles ist natürlich für die Schreibung der Mundart von Relevanz.
Für die Verschriftlichung von Mundart sind diese sprachhistorisch bedingten lautlichen
Gegebenheiten insofern bedeutsam, als konkrete Lösungen für die Schreibung sich zumindest

26 ref. nach Lanthaler Franz/Meraner Rudolf: Die Tiroler Mundarten. In: Saxalber-Tetter Annemarie (Hg.): Dialekt-
Hochsprache als Unterrichtsthema. Anregungen für Deutschlehrer. Bozen/Südtiroler Kulturinstitut, Arbeitskreis Südtiroler
Mittelschullehrer 1985, 157-168
27 Hohenwarter Stefan (stefan.hohenwarter@uibk.ac.at): Nachgedichtet: Oswald von Wolkenstein. Oswald von
Wolkenstein lebte von etwa 1377 bis 1445. Altrektor Hans Moser hat das Werk des Südtiroler Dichters aus dem
Frühneuhochdeutschen in modernes Deutsch übertragen [Wie eine Feder leicht]. In: wissenswert. Magazin der Leopold-
Franzens-Universität Innsbruck. Beilage zur Tiroler Tageszeitung Nr. 337, 68. Jg., Di 4. Dezember 2012, [10-]11

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