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Geschichten Joseph (Sepp) Rossa



               Die alte Wieserin

               Es war ein kalter Novembertag als ich sie zum ersten Mal sah. Leichtling 80

               jährig war sie, und aus ihrem braunen lederhäuternem Gesicht funkelten

               mirzwei dunkle Augen mit einer Schalkhaftigkeit entgegen, so daß ich unwirklich
               grinsen mußte. Zumindest innerlich.  Sie stand in der Waschkuchl, etwas abseits

               vom Haus, bloßfüßig, und war beim Schnapsbrennen. Auf dem gemauerten Ofen
               stand das Brennzuig und ein schwarzer Plastikschlauchbrachte aus dem in der

               Nähe vorbeirauschenden Bach das Kühlwasser. Das abfließende Nass rann einfach

               über den Boden und durch ein kleines Loch, in der unteren Mauer, ins Freie. Und
               in dieser Nässe stand sie, wie gesagt barfuß, jetzt im November wo doch vor der

               Tür schon einige Zentimeter Schnee lagen. Die Schürtür des Ofens war offen und

               ein etwa zwei Meter langer Fichtenstamm ragte aus dem Feuer. Die unter dem
               nicht allzu langen Kittel hervorschauenden Beine der Wieserin waren von einer

               ledernen Beschaffenheit wie ich mir in meiner Kindheit immer den Lederstrumpf

               vorgestellt habe. Mit eben diesen braunen Stampfern schob sie von Zeit zu Zeit
               den Holzstamm in den Ofen nach, daß ja das Feuer nichtausging. Der eigenartige

               Geruch des rinnenden Schnapses allein genügte um mir dieses Bild als einzigartig
               einzuprägen.


               Es war ein paar Tage später, ein kalter, aber schöner Sonntagnachmittag wars,

               die Wieserin saß auf der Hausbank und schaute immer wieder talwärts. Süd-
               seitig war es an diesem Tag recht zum Aushalten. Dann löste sich weit unten

               eine Gestalt aus den Büschen und nahm langsam die Form eines älteren Mannes
               an. Lodenhose und Lodenjoppe und dazu selbergemachte Filzpatschen bekleideten

               den Näherkommenden.  Es war der Hans, der Bruder der Wieserin. Und als diese

               ihn erkannte, stand sie auf, ging ins Haus und kam bald darauf mit zwei, mit
               Schnaps gefüllten Maresiflascherln zurück. Der Hans nickte mit dem Kopf, sie

               erwiderte diesen Gruß ebenso, und er setzte sich neben seine Schwester.


               Die gab ihm das Fläschchen, beide schraubten den Verschluss ab, nahmen einen
               Schluck, schauten sich beide an, er nickte und sagte:"Guat ischt er". "Aa woll "

               antwortete sie halb fragend und mit einem leichten Zukneifen seiner umfalteten
               Augen bestätigte er sein Urteil. Es war keine unterhaltsame Zeit, die sie da

               beieinander saßen auf der Hausbank in der Wies. Aber seit über 40 Jahren, seit


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