Page 17 - Dialekt
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So ersetzen tschüs(s) und tschau (ital. ciao) zusehends das einheimische Pfieti bzw. Pfiati
(eig. pfiat di - Verballhornung aus: b‘hüat di – [Gott] behüte dich, passe auf dich auf, sei
behütet) als Abschiedswunsch bzw. –gruß). Auch Babà und Servus finden häufig
Verwendung. Statt Grieß di oder Griaß enk ist das amerikanische hei (engl. hi, schwed. hei)
in Mode gekommen wie auch andere aus dem Englischen stammende Ausdrücke (z. B.
cool). Wenn die Jungen etwas toll finden, ist es super oder geil, sogar megageil. Wenn etwas
schmeckt, ist es lecker, meine Generation sagt noch güet (gut) dazu. Wer sich diesbezüglich
auf die Suche begibt, wird unschwer fündig. Und für Gegenstände wie Handy, Laptop,
Computer u. a. angemessene deutsche Bezeichnungen oder gar Mundartausdrücke kreieren
zu wollen erwiese sich als ziemlich weit hergeholt.

Bei Kindern und Jugendlichen ist zudem die Tendenz festzustellen, dass vor allem Fragen
nicht grammatikalisch vollständig gestellt werden: Mama, konn i an Eis/a Butterschnitta?
(hobm) – Mama, darf ich ein Eis kaufen/mir ein Butterbrot schmieren? Oder: Tate, konn i ge
Mammen? (gean) – Papa, darf ich zur Mutter gehen? Und in der Schule wird gefragt: Lerarn,
konn i ans Heisle? (gean) – Frau Lehrerin, darf ich bitte zur Toilette gehen? Hauptsächlich
handelt es sich dabei um Erlaubnisfragen. Die Satzaussagen bleiben trotz ihrer
Unvollständigkeit im Hinblick auf die Mitteilungsabsicht dennoch verständlich. Dieser Trend
zeigt sich übrigens auch im umgangs- und standardsprachlichen Sprachgebrauch der
Alltagssprache.

Heranwachsende kreieren auch Neuschöpfungen: So beklagte sich ein Mitschüler über seine
Schulkameradin, die sich dagegen wehrte, dass sie neben ihm sitzen sollte, mit den Worten:
„Mei, ischt die kloelach!“ (Mein Gott, ist sie eine kleinliche Person!) Obwohl es sich um
keinen eigentlichen und ursprünglichen Mundartausdruck handelt, entspricht die Wortbildung
exakt den sprachlichen Gesetzmäßigkeiten. Ein neues Mundartwort könnte so entstanden
sein. Heiter kann es werden, wenn mundartliche Ausdrücke gewissermaßen in einer Art
kindlicher Spielsprache in die Standardsprache übertragen werden: „Er ist nicht riewig und
hat mich alben nicht sein gelat“ (Er gibt keine Ruhe und hat mich nie in Ruhe gelassen: Er
ischt nit riewig und hot mi olm nit sein gelot). Dabei ist olm die mundartliche Bezeichnung für
immer und fußt auf derselben Wurzel wie engl. always bzw. dt. allweil (mhd. all wile),
ausgehend von „alben“ fällt die Zuordnung jedoch etwas schwierig aus, wenn man es nicht
weiß.

4.3 Muttersprache – Die Sprache einer Sozietät

Menschen sind soziale und kommunikative Wesen. Ein einzelner Mensch stellt sich den
Mitmenschen gegenüber vor allem über Sprache bzw. über eine Sprachvarietät dar. Kinder
sind mit einer Sprachlernfähigkeit ausgestattet, die sie befähigt, mit einem ausreichenden
sprachlichen Angebot ohne besondere weitere Unterstützung ihre Muttersprache bzw.
primäre Sprache zu erwerben.xxxiii Sprache und Sprachwahl sind folglich wesentliche
Elemente der Identitätskonstruktion sowohl eines Individuums als auch einer Gruppe.xxxiv Da
wir je nach sozialem Kontext weitgehend automatisch eine Sprachvariante benutzen, besteht
ein direkter Zusammenhang zwischen Sprache und Identität. Diese bezieht sich stets auf
einen gewissen sozialen Kontext. M. a. W., durch unsere Sprache bringen wir zum Ausdruck,
wer wir sind, als wer wir uns fühlen und halten, geben wir Hinweise auf unsere soziale
Position und lassen wir Rückschlüsse auf unsere soziale Wirklichkeit zu bzw. definieren wir
diese. Jeder Mensch verfügt über mehrere (= multiple) Identitäten. Diese
Identitätskonstruktion gibt Aufschluss über sich selbst (= Inklusion) und über die anderen (=
Exklusion), d. h., über Diejenigen oder Dasjenige, die mit eingeschlossen sind und mehr oder
weniger dazu gehören, wie auch über die, welche ausgeschlossen bleiben und nicht dazu
gehören. Sprache ist also ein zentrales Medium, über welches Ähnlichkeiten,
Gemeinsamkeiten und Unterschiede festgestellt werden, die Angehörige einer Sprachgruppe

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