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verbindend empfinden. Daraus zeigt sich schließlich auch die Bedeutung von Sprache als
Instrument der Macht, wenn die Akzeptanz oder Zurückweisung einer Sprachform wie Dialekt
für bestimmte Interessen genutzt oder zur Bedingung wird.xxxv „Sprich schön“ sagt man zu
Kindern oder Schülerinnen und Schülern, oder: „Sag das auf Hochdeutsch!“, sodass die
Heranwachsenden durchaus den Eindruck gewinnen: Aha, diese Sprachform, der Dialekt, ist
in diesem Rahmen nicht unbedingt passend, wertvoll und gewünscht.
4.4 Muttersprachliche Zweisprachigkeit durch Dialekt
Im Regelfall lernt jeder Mensch als Erstsprache seine Sozialisations- bzw. Muttersprache.
Die sprachliche Dimension ist für die gesunde psycho-soziale Entwicklung und für die
Ausbildung personaler wie sozio-kultureller Identität unerlässlich. Sprache und soziale
Kontaktpflege sind aufeinander bezogen und voneinander abhängig. Dialekt sprechende
Kinder wachsen, natürlich in Abhängigkeit von der Abweichung eines Dialekts von der
Standardsprache, vergleichbar Kindern mit einer anderen Muttersprache als Deutsch in
natürlicher Zweisprachigkeit auf (muttersprachliche Mehrsprachigkeit).
Dialekt sprechende Kinder erlernen z. B. Hochdeutsch wie Kinder, die eine andere
Muttersprache haben, weitgehend beiläufig. Ein Dialekt kann als Regionalsprach (Regiolekt)
oder wenigstens als Form einer regionalen Kontakt- oder Umgangssprache mit je nach
Sprachlandschaft gegenüber der Standardsprache sehr großen Unterschieden aufgefasst
werden, wobei allfällige sprachliche Hindernisse in Bezug auf den Erwerb und die
Verwendung der Standardsprache und hochsprachlicher Formen von Süden nach Norden
geringer werden.xxxvi
Für Dialektsprecher kann eine Hochsprache die Bedeutung einer Zweitsprache erlangen.
Freilich sind Dialekt und Hochsprache nicht grundsätzlich dermaßen unterschiedlich wie eine
Fremdsprache in Bezug zur Muttersprache. Zwei Sprachen stehen dann zueinander in einem
Verhältnis von Fremdsprachen, wenn im lautlichen Bereich die Umsetzung nach anderen
Gesetzmäßigkeiten erfolgt bzw. sich die Lautentsprechungslinien von zwei Sprachen
überschneiden, also gleiche Laute im Wortschatz zweier Sprachen nicht identisch verteilt
sind, was auf allfällige Unterschiede zwischen Standardsprache und Dialekt ja zutrifft. Da es
eine Reihe von strukturellen Unterschiedlichkeiten zwischen Mundart und Standardsprache
in der aufgezeigten Hinsicht betreffend Lautung, Wortgut und Grammatik gibt und
gesprochene Sprache eine sich ständig verändernde Leistung darstellt, kann man aus
sprachpsychologischer und sprachdidaktischer Sicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass
Dialekt sprechende Kinder i. e. S. zweisprachig aufwachsen.
Dabei resultiert die sprachliche Identität aus der Erst- bzw. Muttersprache, also nicht aus
dem Hochdeutschen, sondern aus der gesprochenen Mundart als eigentlicher
Muttersprache. Die Kinder wissen (manchmal im Gegensatz zu Erwachsenen)
situationsangemessen genau, mit wem sie die eine, mit wem die andere Sprachform
sprechen sollen.
Sprachwahrnehmung, aktive Laut- und Sprachproduktion und Lernbereitschaft sind
ausschlaggebende Faktoren für die individuelle Sprachaneignung und –entwicklung. Die
Beherrschung der Lautsprache (aktiv: Sprechen, passiv: Sprachverstehen) der Erstsprache
stellt die Ausgangsbasis für alle späteren und weiteren Sprachleistungen dar.
Ein wesentliches Lernziel für die sprachdidaktische Arbeit in den Schulen muss folglich „Mit
der eigenen Mehrsprachigkeit umgehen lernen im Vergleich zur Welt-Sprachigkeit“ lauten
und dabei die Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede und Besonderheiten der in einer
Klasse vorhandenen Sprachvarietäten, also auch von Dialektsprecher/innen, zum Anlass und
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